Das ist die längere Version eines Artikels, der am 29. Januar 2002 auf der Hochschulseite der Saarbrücker Zeitung erschien

Hans Uszkoreit

Transparenz, Evaluation und Wettbewerb

Heiße Eisen: schmieden oder meiden

Die Saaruni plant wieder einmal ihre Zukunft. Ein neuer Universitätsentwicklungsplan, kurz UEP, ist in Vorbereitung. Die Diskussion lief bereits in den Fachrichtungen und Fakultäten.Alle Bereiche durften kundtun, wohin sie sich entwickeln wollen. Ich beneide das Präsidium der Universität nicht, denn das muss jetzt aus den Fakultätsplanungen einen ehrgeizigen aber realistischen Plan mit plausiblen Schwerpunkten und klaren Richtungssetzungen erzeugen. Ja, es geht auch noch immer um die Richtung. Mehrfach wurde auf dieser Hochschulseite bereits die Frage diskutiert, ob unsere Uni sich vornehmlich als die bequem zu erreichende hohe Schule für möglichst viele Landeskinder sehen sollte oder vielmehr die Stellung einer internationalen Spitzenuni anstreben. Klingt das nicht, als fragten wir: Sollen wir dem Land Dienste leisten oder sollen wir ihm mit Leistung dienen?

Nicht unter Bundesliga

Wir bieten heute nicht alle Fächer an und werden das auch in Zukunft nicht können. Wir wollen aber den saarländischen Jugendlichen eine hochwertige Ausbildung bieten. Kürzere Fahrtwege oder das örtliche Angebot an Kinderzimmern dürfen keine Entschuldigung für Mittelmaß sein. Andererseits geht aber auch nicht um einen Platz auf dem Siegertreppchen einer imaginären Weltmeisterschaft der Top-Universitäten (Stanford, Oxford, Saarbridge).In die Spitzengruppe könnten wir mit unserem Jahreshaushalt ohnehin nur aufsteigen, wenn man auf dem Campus Ölvorkommen fände.

Es kann also gar nicht darum gehen, eine Entscheidung zwischen einem regionalen College, einer Art Ganztags-VHS mit Promotionsrecht, und der teuren Elite-Uni zu treffen. Dieser hochgeputschte „Richtungsstreit“ dient lediglich der politischen Profilierung einzelner Angriffsspieler, denn Zustimmung findet in der Presse keine Erwähnung und neue Ideen sind rar. In Wirklichkeit geht es für die Uni darum, sich ein ehrgeiziges aber realistisches Ziel auf der breiten Skala zwischen den beiden Extrempunkten zu setzen. Dabei sollte es Fächer und Institute geben, die zur internationalen Champions-League gehören und solche,die in der ersten oder zweiten Bundesliga spielen. Regionalliga bis Kreisklasse sind für eine Universität keine akzeptablen Ziele. Die Champions-League-Fächer helfen dem Saarland bei der Anwerbung von Wirtschaft und bei der Imagewerbung. Die Bundesliga-Fächer bieten jungen Saarländern und Studenten aus anderen Ländern eine solide bis exzellente Ausbildung und erleichtern angeworbenen Führungskräften mit Kindern die Entscheidung für unser Bundesland.

Regionalliga und Kreisklasse-Fächer kosten den saarländischen Steuerzahler nicht weniger Geld, nutzen jedoch kaum. Sie können sogar Schaden anrichten, weil die heimatverhafteten saarländischen Studenten woanders besser ausgebildet würden, aber den Unterschied noch nicht einmal sehen können. 

Bedeutet das nun aber weitere Fächerschließungen? Wieder dicke Luft im Stadtwald? Ende des Abendlandes? Demonstrierende Studenten mit leeren Särgen vor der Staatskanzlei, empörte Proteste von publizitätsbedürftigen Politikern, die erst durch die Schließung erfuhren, daß es das Fach bisher gegeben hat? Mitnichten! Schließungen nicht ausschließen, viel besser aber ist Verbessern. Auch in der Wissenschaft ist Aufstieg machbar und an der Hochschule sogar sicherer planbar als beim Fußball. Es gibt zentrale Fächer mit wichtigen Serviceaufgaben, die man ohnehin nicht abschaffen, sondern nur verbessern kann. In den Universitätsentwicklungsplan gehören also auch konkrete Aussagen über die jetzige und die angestrebte Stellung der Fächer im wissenschaftlichen Wettbewerb und die Chancen der neu vorgeschlagenen Schwerpunkte im internationalen Vergleich. 

Qualität kommt nicht von Qual!

Doch diese Aussagen kann niemand machen. Und da liegt das eigentliche Hauptproblem der Universität. Seit Jahren reden wir über Qualität,Evaluation und leistungsbezogene Mittelvergabe.Warum haben wir dann immer noch keine Planungsgrundlagen, mit einer ehrlichen Aufnahme des Ist-Standes? Beginnen wir mit dem leichtesten Problem, das ist die Qualität. Der Begriff Qualität kommt nicht von Qual, er spricht sich leicht und darf in keiner Rede fehlen.Auf dem Campus ist Qualität völlig harmlos, weil man sie ja nur anstreben muß.Keiner fragt, ob, wann und wie man sie erreicht. Irgendwie haben wir sie ja auch alle, so wie Menschlichkeit und einen Sinn für das Schöne. 

Qualität wird erst dann zum Gut oder zur Gefahr, wenn man sie zu messen beginnt. Und das macht ja wirklich niemand, das können wir alle bezeugen. Das würde ja auch eine wissenschaftliche Evaluation der Fachrichtungen erfordern. Diese hat man lange bekämpft, heute fordert man sie ständig doch gefahrlos, so wie man die Abschaffung der Arbeitslosigkeit und das Ende aller Kriege fordert. Selbst herbeibringen kann man sie natürlich nicht. Sie ist schwierig und kostspielig wie die bemannte Raumfahrt.

Zwar haben die Amerikaner und Engländer Evaluationsmethoden entwickelt, die sie auch seit Jahrzehnten praktizieren, aber die sind natürlich unvollkommen. Überhaupt werden wir die Amerikaner nicht schon wieder nachäffen. Wenn sie auch in vielen wissenschaftlichen Disziplinen besser sind als wir, dann werden wir uns doch nicht in Bereichen fügen, die zentral für die Besitzstandswahrung und Privilegienerhaltung sind. Wir haben unseren Stolz und müssen auch gar nicht immer genau wissen, worauf wir stolz sind.

Und was das wieder kosten würde! Im armen Saarland konnte man sich vor echter Evaluation immer sicher fühlen, es sei denn man beantragte einen Sonderforschungsbereich oder forschte in einem An-Institut. Wir Professoren sind ja schon teuer, wie teuer werden dann erst die, die in der Lage sind, uns zu evaluieren! Ein Vorschlag zur Lösung, der ensthaft diskutiert wird, ist die gegenseitige Evaluierung in einem Regionalverbund. Der Vorschlag hat etwas, denn eine solche Evaluation könnte bezahlbar sein als freie Dienstleistung auf Gegenseitigkeit. Dafür hat dieser Plan aber auch große Nachteile auf der inhaltlichen Seite.

Drei Gründe sprechen dagegen. Erstens: Zu viel Gegenseitigkeit in einem überschaubaren, gleichbleibenden Verbund ist der Ehrlichkeit abträglich. Ich werde doch nicht ansetzen, meiner Mitkrähe das Auge auszuhacken, das mich morgen evaluieren soll. Zweitens: Wir können doch nicht für jedes Fach die geeigneten Experten im regionalen Verbund finden. Gerade die Champions-League-Fächer müßten dan befürchten, von ihren weniger erfolgreichen Rivalen aus der mißgünstigen Nachbarschaft bewertet zu werden. Das bringt uns zum dritten Gegenargument: Bei all dem modischen Gerede von regionaler Zusammenarbeit, die in der Tat verbessert werden muß, vergessen die Hochschulstrategen doch immer die wunderbaren Segnungen eines gesunden regionalen Wettbewerbs. Nehmen wir das Beispiel der beiden hinreichend bekannten Universitäten in Stanford und Berkeley. Dort pendelt jeden Tag ein Bus, der berühmte Gutenberg Express, zwischen den beiden Unis und transportiert Bücher und Studenten. Gemeinsame Seminare und Konferenzen mehren den Erfolg der beiden ehrwürdigen Bildungsanstalten. Aber wenn es um die Anwerbung der besten Studenten und Professoren geht, steht die Rivalität im Vordergrund. Stanford würde sich auch nie von Berkeley evaluieren lassen, und das gilt umgekehrt genauso. Ähnlich harten, dorch freundlichen und fruchtbaren Wettbewerb gibt es in den USA in vielen Regionen.

Was bleibt dann noch? Soll die Uni selbst Evaluationskommissionen zusammenstellen und beauftragen, Kommissionen, die groß genug sind, um alle Fachrichtungen der Universität angemessen zu berücksichtigen? Soll man die Evaluation von nationalen Anbietern erwerben? Noch gibt es ein solches Angebot jedoch nicht. Alle diese Ideen sind sicher der reiflichen Überlegung wert. Sie sind alle nicht billig und brauchen einen langen organisatorischen Vorlauf.

Sich selbst benoten?

Die Uni muß aber jetzt planen. Statt weiter auf die Weisen zu warten, die immer erst morgen ins Land kommen, sollten wir mit der Evaluation heute beginnen. Das Zauberwort heißt Selbstevaluation. Nun mögen sich die geneigten Leserinnen und Leser an den Körperteil geifen, in dem sie zu Recht ihren gesunden Menschenverstand vermuten. Wie können wir objektive Ergebnisse erwarten, wenn man ausgerechnet die Personen befragt, die selbst vom Resultat betroffen sind?

Wird aber die Selbstevaluation um eine qualifizierte Kommentierung erweitert, kann sie äußerst aussagekräftig und effektiv sein. Die Idee ist einfach. Man bittet Professoren und Fachrichtungen um eine ausführliche vergleichende Selbstevaluation, kündigt aber an, dass die Eigenbewertungen dann an mehrere namhafte Fachkollegen im In- und Ausland gesandt werden, die jedoch erst später ausgesucht werden. Damit erreicht man Ehrlichkeit, vermeidet aber auch, dass die Einschätzungen bewusst oder unbewusst an bestimmte Gutachter angepasst werden. Bevor man die externen Kommentatoren anspricht,können relevante Angaben (Studierendenzahlen, Absolventen, Landesmittel, Drittmittel, ortsabhängige Sonderbedingungen etc.) von Seiten der Universität überprüft und korrigiert werden. Den auswärtigen Gutachtern sollte man eine kleine finanzielle Anerkennung zukommen lassen, die natürlich nie den tatsächlichen Aufwand abdecken kann, jedoch motivationsfördernd zur Qualität der Ergebnisse beitragen wird.Der Berufsstolz wird es den Selbstbenotern verbieten, in den Einschätzungen zu stark an der Realität vorbeizubewerten. Und sollte das doch einmal vorkommen, dann wird durch die Kommentare auch dies offensichtlich werden und zur Beurteilung beitragen. 

Eine Selbstevaluation hat mehrere große Vorteile. Man kann sehr schnell beginnen. Es läßt sich dennoch eine Gründlichkeit erzielen, die bei einer ausschließlich externen Beurteilung nicht erreichbar ist. Als Teil der Selbstevaluation sollten auch gleich Planungen und Vorschläge formuliert werden, die ausführen, wie der Stand der Fachrichtung verbessert oder gehalten werden kann. Bei Bedarf kann die Universität immer noch gezielte Evaluationen kritischer Bereiche durch externe Gutachterkommissionen planen. Durch das Verfahren der externen Kommentierung hat die Universität dann unter Umständen bereits besonders kooperative Gutachterkennenlernen können.

Von der Transparenz zur echten Planung

Evaluation schafft Transparenz. Ein Großteil dieser Transparenz muß aber bereits hergestellt werden, bevor die eigentliche Bewertung beginnt. Zuerst müssen einmal die Fakten zusammen?getragen werden, die in die Bewertung einfließen sollen. Prinzipiell sind alle diese Angaben natürlich frei zugänglich. Tatsächlich sind sie jedoch ohne Mitwirkung der Betroffenen nur sehr mühsam zu beschaffen. Zu den Daten gehören Zahl und Arten der Veröffentlichungen,Absolventen, betreute Promotionen, eingeworbene Drittmittelprojekte, Berufungen in Programmkomitees, Preise und Ehrenämter, eingeladene Vorträge, Berufungen und Mitwirkung in universitären und außeruniversitären Gremien. 

Heute haben Wissenschaftler ein Medium, um diese Angaben ständig aktualisiert verfügbar zu halten. Homepage heißt nicht Hausdiener und auch nicht Heimatblatt. Für den Wissenschaftler ist die berufliche Internetpräsenz der Ort, an dem er seine Leistungen und Kompetenzen präsentiert. Das ist keine Prahlerei. Wie bei Politikern oder Künstlern sind für den öffentlich arbeitenden Wissenschaftler sein beruflicher Werdegang und seine Leistungen öffentliche Information.

Schauen wir uns jedoch die Internetseiten der Professuren und Fachrichtungen unserer Uni an, so sehen wir, dass es da große Unterschiede gibt. Während viele Kolleginnen und Kollegen mit viel Sorgfalt über Leistungen, Lehrveranstaltungen und ihr Fach informieren, hüllen sich andere in einen geheimnisvollen Mantel elektronischen Schweigens. Sogar die alleröffent-lichsten Daten wie Publikationen, Lehrveranstaltungen oder Sprechzeiten werden oft unter Verschluß gehalten oder nur als Pröbchen dosiert.Eine Vorbedingung zur Bewertung und Sicherung von Qualität ist die Herstellung von Transparenz. Das Uni-Präsidium sollte daher in einem ersten Schritt alle Professuren und Fachrichtungen auffordern, einen Mindest-standard an Informativität einzuhalten. Für echte Internetallergiker könnte man einen Dienst einrichten, der ihre Daten ins Netz bringt, ohne dass sie selbst Körperkontakt mit dem Medium aufnehmen müssen.

Das wären also die Schritte: 1. Fertigstellung des Universitätsentwicklungsplans und Verab-schiedung vorbehaltlich seiner späteren Anpassung durch die Ergebnisse der Selbstevaluation, gleichzeitig Erarbeitung eines Mindeststandards für Transparenz, der Kriterien für Evaluation und kriterien?bezogene Mittelzuordnung 2. Herstellung der Transparenz, Durchführung der der Selbstevaluation und Installation der kriterienbezogenen Mittelzuordnung, 3. Anpassung des UEP zum ersten Plan in der Geschichte unserer Universität dem wissen-schaftlichen Wettbewerb Rechnung trägt.

Warum habe ich nach dreizehn Jahren an dieser Universität immer noch die Hoffnung, dass wir endlich eine Entwicklungsplanung erhalten, die der wissenschaftlichen Qualität und dem internationalen Wettbewerb Rechnung trägt? Weil wir alle wissen, dass die Universität ihre Autonomie nur dann bewahren und stärken kann, wenn wir das Problem der Qualitätsmessung und der kriterienbezogenen Mittelvergabe in den Griff bekommen. Und weil wir eine Präsidentin haben, die weiß, was wissenschaftliche Qualität bedeutet und bereit ist, heiße Eisen anzupacken. Im November jährte sich ihre Amtseinführung. Sie ist nun keine neue Präsidentin mehr. Ihr liegen die Vorschläge zur Selbstevaluation und zur Schaffung von Transparenz schriftlich vor. Der neue Entwicklungsplan wird zeigen, ob sich wirklich etwas ändert.