Das philosophische Projekt RATIO untersucht, wie Menschen eine
Äußerung erfolgreich verstehen können, selbst wenn ihr Wissen
(interne Ressourcen) oder die durch die Situation gelieferten
Informationen (externe Ressourcen) unzureichend sind. Dazu beruft man
sich darauf, daß semantisch unvollständigen oder mehrdeutigen
Äußerungen gleichwohl eine Bedeutung zugeordnet werden kann, indem
man das fehlende sprachliche Wissen aus anderen Quellen erschließt,
vor allem aus nicht-verbalsprachlichen Zeichen. Diesem Verfahren
folgend gilt jede Äußerung als Teil einer übergeordneten Handlung,
so daß Semantik aus Sicht der Pragmatik verstanden wird.
Vor allem anhand des projektübergreifenden Szenarios 'Orientierung in
Großflughäfen' wird untersucht, wie bei der Wegfindung in einem
hochkomplexen künstlichen Raum das Orientierungswissen des einzelnen
mit den jeweils raumzeitlich vorhandenen externen Zeichen
interagiert. Typisch für dieses Szenario sind spezifische
Ressourcenbeschränkungen vom Zeitdruck bis zu Sprachbarrieren sowie
eine Vielzahl visueller und akustischer Zeichen, die aus
unterschiedlichen Gründen unverständlich bleiben können. Durch
semiotische Klassifizierungsverfahren und den Einbezug
kognitionswissenschaftlicher Erkenntnisse lassen sich konkrete
Fallbeispiele soweit analysieren, daß nicht nur Schwachpunkte
derzeitiger Zeichensysteme lokalisierbar werden, sondern auch einige
Gestaltungskriterien für kognitiv adäquate Leitsysteme erarbeitet
werden können.
Es geht bei RATIO daher weder darum, empirische Untersuchungen
natürlicher kognitiver Prozesse anzustellen noch darum, geeignete
formalsprachliche Modellierungen solcher Prozesse auf einem Rechner zu
implementieren. Das Ziel der wissenschaftstheoretischen und damit
begrifflichen Arbeit von RATIO besteht in Beiträgen für ein im
Kontext der übrigen Projekte disziplineninvariantes
Theoriesprachenfragment.
Ein für das Jahr 2000 geplanter Workshop wird den aktuellen Stand der
Diskussion um das Problem begrenzter Rationalität behandeln, und zwar
an den beiden Beispielbereichen ungenauer Referenz (eines
kognitiven Handlungsresultats) und unsicherer Inferenz (eines
kognitiven Handlungsvollzugs) im Kontext von deren gegenseitiger
Abhängigkeit. Beide beruhen auf unvermeidlicher Ambiguität, weil es
grundsätzlich viele Wege gibt, von einer gewöhnlichen Handlung zu
einer sie modellierenden kognitiven Handlung, z.B. einer sprachlichen
Äußerung, zu kommen.
Eine vorläufige version des Fortsetzungsantrags ist verfügbar.
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