Computational Linguistics & Phonetics Computational Linguistics & Phonetics Fachrichtung 4.7 Universität des Saarlandes

CORTE: Forschungsgegenstand

Legaldefinitionen

Gesetzgebung und Rechtsprechung finden in natürlicher Sprache statt. Die Anwendung von Rechtsvorschriften auf die Realität der "Fälle" (die "Subsumtion") hängt entscheidend von der Bedeutung der Rechtsbegriffe ab. Juristische Termini sind aber typischerweise nicht semantisch äquivalent mit den gleichlautenden normalsprachlichen Ausdrücken. Ihre Anwendungsbedingungen werden durch Definitionen festgelegt oder präzisiert, die ebenfalls in natürlicher Sprache formuliert sind. "Legaldefinitionen" wie in 1 und 2 sind konstitutive Bestandteile von Gesetzestexten:

  1. Urheber ist der Schöpfer des Werks. (§7 UrhG)
  2. Sachen im Sinne des Gesetzes sind nur körperliche Gegenstände. (§90 BGB)

Definitionen in Gerichtsurteilen

Die Realität, auf die Gesetze angewendet werden, ist komplex, nie in allen Einzelheiten überschaubar und außerdem kontinuierlichen Veränderungen unterworfen. Die Definitionen im Gesetzestext bestimmen Rechtsbegriffe daher nicht ein für alle Mal erschöpfend, sondern legen sie in ihrer Anwendbarkeit nur partiell fest. Definitorische Elemente in Gerichtsurteilen leisten dann die die durch die konkreten Rechtsfälle erforderliche Präzisierung.

Ein "klassisches" Beispiel der Rechtsliteratur für die sukzessive Präzisierung von Rechtsbegriffen ist die in Beispiel 2 zitierte BGB-Definition von "Sache" als beweglicher Gegenstand. Sie liegt unter anderem dem strafrechtlichen Tatbestand des Diebstahls zugrunde. Dass ein Tisch eine Sache im Sinne dieser Vorschriften ist und dass eine Geschäftsidee keine Sache im Sinne dieser Vorschriften ist, unterliegt keinem vernünftigen Zweifel. Aufgrund von §90 BGB war aber zunächst nicht zu entscheiden, ob es sich bei der unbefugten Entwendung von elektrischem Strom um Diebstahl handelt. Dies wurde 1896 vom Reichsgericht durch definitorische Festlegung entschieden. Aber auch in aktuellen Gerichtsurteilen treten definitorische Elemente als ein zentraler Bestandteil auf. Sie sind von besonderer Wichtigkeit, weil ihre de-facto Bindungswirkung meist weit über den einzelnen Fall hinaus reicht und die Rechtsprechung in einer großen Zahl künftiger Fälle beeinflusst.

Linguistische Modellierung und automatischer Zugriff

Die Modellierung dieses Mechanismus fortschreitender Präzisierung ist sowohl für die rechtswissenschaftliche als auch für die linguistische Grundlagenforschung ein interessanter Gegenstand. Die Nützlichkeit von Verfahren zur automatischen Suche und Aufbereitung von definitorischen Elementen für die juristische Praxis und die Relevanz computerlinguistischer Kompetenz bei der Realisierung dieser Verfahren liegen ebenfalls auf der Hand. Das Projekt CORTE verfolgt beide Zielsetzungen in enger Verknüpfung miteinander.